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Wegfall der Deckelung negativer Marktprämien

Verbandsklage gegen den Erlass zum ”Prix seuil” führt zu Vorlagefrage an das französische Verfassungsgericht

Foto des Gebäude des Conseil constitutionnel Frankreich

In Frankreich sind Betreiber, deren Anlage über einen Marktprämienvertrag gefördert werden, zur Auskehrung des Mehr- oder Übererlöses verpflichtet, den sie erzielen, wenn während einer Abrechnungsperiode der durchschnittliche Marktpreis, der dem Betreiber im Rahmen des abgeschlossenen Direktvermarktungsvertrags vergütet wird, über dem Fördertarif liegt (negative Marktprämie). Für die meisten Marktprämienverträge – etwa diejenigen, die nach dem für Onshore-Windarks praktisch besonders wichtigen Open-Window-Tarif „CR17“ abgeschlossen worden waren – galt ursprünglich jedoch eine wesentliche Einschränkung: So war nach Artikel R.314-49 des französischen Energiegesetzbuchs diese Rückzahlungspflicht der Höhe nach begrenzt, und zwar auf den Betrag, den der Betreiber bis zum jeweiligen Abrechnungszeitpunkt in Form positiver Marktprämien als Förderung erhalten hatte.

Diese Begrenzung hatte die französische Regierung ab Ende 2021 jedoch in mehreren Schritten kassiert, um auf diesem Weg sämtliche dieser Übererlöse von EDF-OA unbegrenzt abschöpfen zu lassen; diese Maßnahme sollte dem französischen Staat Mehreinnahmen in Milliardenhöhe verschaffen.

Rechtlich abgesichert werden sollte diese Regelung dann durch Artikel 38 des am 16. August 2022 verabschiedeten 1. Nachtragsgesetzes zum Haushaltsgesetz 2022 (Loi n° 2022-1157 du 16 août 2022 de finances rectificative pour 2022, LFR 2022) [1]; die neue Regelung gilt mit Rückwirkung zum 1. Januar 2022.

Allerdings ist dort eine Differenzierung vorgesehen zwischen den für den Betreiber einer EE-Anlage bei Abschluss des Marktprämienvertrags objektiv erwartbaren Übererlösen (auf der Basis der zu diesem Zeitpunkt als realistisch angesehenen Strompreismodelle) und Übererlösen, welche auf einer bei Vertragsabschluss objektiv nicht vorhersehbaren Marktentwicklung beruhen. Für erstere sollte wie bisher die Rückzahlungspflicht des Betreibers durch den Betrag der zuvor erhaltenen positiven Marktprämien begrenzt sein. Dagegen werden letztere als wirtschaftlich nicht gerechtfertigte Zufallsgewinne angesehen und müssen vom Betreiber unbegrenzt ausgekehrt werden.

Entscheidend ist danach die Bestimmung des Grenzwerts, jenseits dessen die Entwicklung des Marktpreises als objektiv nicht mehr vorhersehbar angesehen wird. Hierfür ist durch Artikel 38 Abschnitt 2, 1° LFR ein sog. Schwellenpreis (prix seuil) eingeführt worden, dessen konkreter Betrag allerdings erst durch einen am 28. Dezember 2022 veröffentlichten gemeinsamen Erlass des Umwelt- und des Finanzministeriums festgelegt wurde („Arrêté prix seuil“) [2]. Dieser Erlass legt den Schwellenpreis für das Jahr 2022 auf 44,78 EUR/MWh fest; bis zum Jahr 2042 steigt der Schwellenpreis dann sukzessive auf zuletzt 66,55 EUR/MWh an.

Die Referenztarife für die hier in erster Linie betroffenen Marktprämienverträge für Onshore-Windparks und PV-Anlagen liegen jedoch praktisch durchgehend über 60 EUR/MWh. Solange der sog. Schwellenpreis aber noch unter dem jeweiligen Referenztarif liegt, entfällt nach Artikel 38 Absatz 2, 1° LFR 2022 die bisherige Deckelung der Rückzahlungspflicht für den gesamten „Übererlös“ und nicht nur für einen Teil davon. Im Ergebnis führt der Erlass vom 28. Dezember 2022 also dazu, dass die vom Gesetzgeber gewollte Differenzierung zwischen „erwartbaren“ und „nicht erwartbaren“ Übererlösen nicht stattfindet.

Gegen den Erlass haben im Frühjahr 2023 die Verbände FEE (France Energie Eolienne), SER (Syndicat des Energies Renouvelables) und Enerplan sowie eine Reihe von Betreibern eine Klage vor Conseil d’Etat eingereicht, der als oberstes französisches Verwaltungsgericht für Klagen gegen ministerielle Erlasse zuständig ist.

Im Rahmen dieses Verfahrens stellen die Kläger u.a. die Verfassungsmäßigkeit dieser rückwirkend für den Zeitraum ab dem 1. Januar 2022 getroffenen Regelungen in Frage. Nach Auffassung der Kläger verletzen diese Regelungen das Grundrecht auf Eigentum, den Grundsatz der Vertragsfreiheit sowie das ebenfalls grundrechtlich geschützte Prinzip der Wahrung des wirtschaftlichen Gleichgewichts rechtmäßig abgeschlossener Verträge. Die Kläger haben deshalb beantragt, der Conseil d’Etat möge diese Fragen im Weg eines Vorlageverfahrens (question préjudicielle de constitutionnalité, kurz „QPC“, dh einer Art inzidentem Normenkontrollverfahren) durch den Conseil Constitutionnel (Verfassungsgerichtshof) klären lassen.

Diesem Antrag ist der Conseil d’Etat nun vor einigen Tagen gefolgt; die Entscheidung des Conseil Constitutionnel muss bis Ende Oktober 2023 ergehen.

Aus der Vorlageentscheidung des Conseil d’Etat lassen sich wiederum gewisse Rückschlüsse auf das weitere Verfahren betreffend die Rechtmäßigkeit des rückwirkenden Wegfalls der Deckelung negativer Marktprämien ziehen:

  • Offensichtlich hat der Conseil d’Etat selbst ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der vom Gesetzgeber angeordneten Rückwirkung. Diese betreffen insbesondere die von der Regierung angeführten Gründe des öffentlichen Interesses, die nach Auffassung des Conseil d’Etat jedenfalls prima facie nicht ausreichen, um den damit verbundenen Eingriff in die Rechte der betroffenen Anlagenbetreiber zu rechtfertigen.
  • Je nach dem, wie die Vorlagefrage des Conseil d’Etat vom Verfassungsgericht beantwortet wird, dürfte damit bereits eine Weichenstellung für die Entscheidung des Conseil d’Etat zur Rechtmäßigkeit der Regelung insgesamt erfolgen.
  • Im Gesamtkontext des Verfahrens gegen die Regelungen zum rückwirkenden Wegfall der Deckelung negativer Marktprämien stellt die Vorlageentscheidung des Conseil d’Etat in jedem Fall ein positives Signal für die Kläger dar.

Für Fragen stehen Ihnen gerne unsere Experten zur Verfügung:

Hans Messmer    Laurent Brault

Quellenangaben:

[1] Siehe: Loi n° 2022-1157 du 16 août 2022 de finances rectificative pour 2022 (auf Französisch).

[2] Der Erlass (Arrêté prix seuil) findet sich unter diesem Link (auf Französisch).