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Wegfall der Deckelung negativer Marktprämien in Frankeich ist verfassungswidrig

Entscheidung des Conseil constitutionnel vom 26.10.2023

Französische Flaggen vor historischem Gebäude

Zur Erinnerung: In Frankreich sind Betreiber, deren Anlage über einen Marktprämienvertrag gefördert werden, zur Auskehrung des Mehr- oder Übererlöses verpflichtet, den sie erzielen, wenn während einer Abrechnungsperiode der durchschnittliche Marktpreis, der dem Betreiber im Rahmen des abgeschlossenen Direktvermarktungsvertrags vergütet wird, über dem Fördertarif liegt (negative Marktprämie). Für die meisten Marktprämienverträge – etwa diejenigen, die nach dem für Onshore-Windarks praktisch besonders wichtigen Open-Window-Tarif „CR17“ abgeschlossen worden waren – galt ursprünglich jedoch eine wesentliche Einschränkung: So war nach Artikel R.314-49 des französischen Energiegesetzbuchs diese Rückzahlungspflicht der Höhe nach begrenzt, und zwar auf den Betrag, den der Betreiber bis zum jeweiligen Abrechnungszeitpunkt in Form positiver Marktprämien als Förderung erhalten hatte.

Diese Begrenzung hatte die französische Regierung ab Ende 2021 jedoch in mehreren Schritten kassiert, um auf diesem Weg sämtliche dieser Übererlöse von EDF-OA unbegrenzt abschöpfen zu lassen, zuletzt durch Artikel 38 des am 16. August 2022 verabschiedeten 1. Nachtragsgesetzes zum Haushaltsgesetz 2022 (Loi n° 2022-1157 du 16 août 2022 de finances rectificative pour 2022, LFR 2022) [1]; die neue Regelung gilt mit Rückwirkung zum 1. Januar 2022.

Gegen den Erlass haben im Frühjahr 2023 die Verbände FEE (France Energie Eolienne), SER (Syndicat des Energies Renouvelables) und Enerplan sowie eine Reihe von Betreibern eine Klage vor Conseil d’Etat eingereicht, der als oberstes französisches Verwaltungsgericht für Klagen gegen ministerielle Erlasse zuständig ist.

Im Rahmen dieses Verfahrens stellten die Kläger u.a. die Verfassungsmäßigkeit dieser rückwirkend für den Zeitraum ab dem 1. Januar 2022 getroffenen Regelungen in Frage. Nach Auffassung der Antragsteller verletzen diese Regelungen das Grundrecht auf Eigentum, den Grundsatz der Vertragsfreiheit sowie das ebenfalls grundrechtlich geschützte Prinzip der Wahrung des wirtschaftlichen Gleichgewichts rechtmäßig abgeschlossener Verträge.

Auf Antrag der Kläger hatte der Conseil d’Etat diese Fragen durch Entscheidung vom 26. Juli 2023 [2] im Weg eines Vorlageverfahrens (question préjudicielle de constitutionnalité, kurz „QPC“) dem Conseil constitutionnel (Verfassungsgerichtshof) zur Klärung vorgelegt; hierüber haben wir bereits berichtet [3].

In seiner am 26. Oktober 2023 verkündeten Entscheidung [4] hat der Conseil constitutionnel die von den Klägern angegriffenen Regelungen für verfassungswidrig und damit nichtig erklärt.

Was auf Anhieb wie ein voller Erfolg der Kläger aussieht, stellt sich jedoch bei näherer Prüfung der Entscheidungsgründe bestenfalls als ein Etappensieg heraus.

Denn der Conseil constitutionnel hat die Regelung des Art. 38 LFR 2022 ausschließlich aus formellen Gründen für verfassungswidrig erklärt, und zwar aufgrund eines sogenannten negativen Kompetenzverstoßes: Nach Auffassung der Verfassungsrichter hätte der Gesetzgeber selbst die maßgeblichen Kriterien zur Festlegung des sog. „prix seuil“ vornehmen müssen; dieser ist für die Differenzierung zwischen (wie bisher) nur begrenzt von Anlagenbetreibern zu erstattenden negativen Marktprämien und den darüber hinausgehenden, unbegrenzt abschöpfbaren „Übererlösen“ maßgeblich. Stattdessen hatte der Gesetzgeber diese Festlegung einem Erlass der zuständigen Fachministerien überlassen, was der Conseil constitutionnel für verfassungswidrig erachtet.

Dagegen teilt der Conseil constitutionnel ausdrücklich nicht die Auffassung der Kläger, die angegriffene Regelung verstoße gegen materielle Verfassungsgrundsätze: Vielmehr sei der damit verbundene Eingriff in die Rechte der betroffenen Anlagenbetreiber durch ein übergeordnetes öffentliches Interesse gerechtfertigt und auch nicht unverhältnismäßg.

Bis auf weiteres wird EDF also aufgrund der Nichtigkeit der bisher dafür herangezogenen Rechtsgrundlage keine Zahlung von negativen Marktprämien mehr verlangen können, die den Betrag der bislang von dem jeweiligen Betreiber für die betroffene Anlage übersteigen. Soweit Betreiber solche Zahlungsforderungen bereits angefochten haben, ist EDF ohne weiteres zur Rückzahlung verpflichtet. Nicht eindeutig geklärt sind die Konsequenzen der Entscheidung des Conseil constitutionnel allerdings für Betreiber, die diese Zahlungsforderungen bislang nicht angefochten haben.

Offen ist dagegen noch die Reaktion der Regierung auf diese Entscheidung. Betreiber sollten sich nicht darauf verlassen, dass die Abschaffung der Deckelungsregelung für negative Marktprämien damit endgültig vom Tisch ist, denn die Begründung des Conseil constitutionnel eröffnet durchaus die Möglichkeit, einen inhaltlich weitgehend identischen Mechanismus wieder einzuführen, solange dabei der vom Conseil constitutionnel bei Art. 38 LRF 2022 gerügte formelle Verfassungsverstoß vermieden wird.

So oder so wird dieses Thema die Betreiber von EE-Anlagen noch für eine gewisse Zeit beschäftigen; gerne stehen wir Ihnen zur Verfügung, wenn Sie dabei rechtliche Unterstützung benötigen.

Für Fragen stehen Ihnen gerne unsere Experten zur Verfügung:

Hans Messmer    Laurent Brault

Quellenangaben:

[1] Siehe: Loi n° 2022-1157 du 16 août 2022 de finances rectificative pour 2022 (auf Französisch).

[2] Die Entscheidung zur Vorlage finden Sie hier: https://www.legifrance.gouv.fr/ceta/id/CETATEXT000047896449?init=true&page=1&query=ECLI%3AFR%3ACECHR%3A2023%3A471674.20230726&searchField=ALL&tab_selection=all 

[3] Und zwar hier : https://www.sterr-koelln.com/aktuelles/news/news-detail/wegfall-der-deckelung-negativer-marktpraemien

[4] Die Entscheidung des Conseil constitutionnel finden Sie hier: https://www.conseil-constitutionnel.fr/decision/2023/20231065QPC.htm